Bevor wir uns der Beantwortung obiger Fragestellungen nähern, müssen wir versuchen eine gemeinsame Ausgangslage zu finden.
Was verstehen wir unter einer Religion?
Ich zitiere aus Wikipedia: Als Religion (lat: religio, zurückgeführt auf religere, „immer wieder lesen“, oder religare, „zurückbinden“) bezeichnet man eine Vielzahl unterschiedlicher kultureller Phänomene, die menschliches Verhalten, Handeln, Denken und Fühlen prägen und Wertvorstellungen normativ beeinflussen. Es gibt keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Definition des Begriffs Religion. Religiöse Weltanschauungen und Sinngebungssysteme stehen oft in langen Traditionen und beziehen sich zumeist auf übernatürliche Vorstellungen. So gehen viele, aber nicht alle Religionen von der Existenz eines oder mehrerer persönlicher oder unpersönlicher über-weltlicher Wesen (z. B. einer oder mehrerer Gottheiten oder von Geistern) oder Prinzipien (z. B. Dao, Dhamma) aus und machen Aussagen über die Herkunft und Zukunft des Menschen, etwa über das Nirvana oder Jenseits. Sehr viele Religionen weisen gemeinsame Elemente auf, wie die Kommunikation mit transzendenten Wesen im Rahmen von Heilslehren, Symbolsystemen, Kulten und Ritualen oder bauen aufeinander auf, wie beispielsweise Judentum und Christentum.
Wieviele und welche Religionen existieren heute?
Vermutlich gab und gibt es weltweit tausende verschiedene Richtungen der Religionsausübung. In Anlehnung an die „Stiftung Weltethos“ kristallisieren sich doch sechs sogenannte Weltreligionen heraus. Der Hinduismus. Der Buddhismus. Das Judentum. Das Christentum. Der Islam. Dazwischen, daneben oder darunter existieren wiederum diverse weitere Religionsrichtungen und Glaubensgemeinschaften.
Welche Aussagen machen diese Religionen?
Natürlich gibt es innerhalb dieser Religionen verschiedenste empfohlene oder auch streng vorgeschriebene Gebote und Verhaltensregeln. Diesen Religionen gemein sind jedoch wesentliche Grundaussagen, sozusagen eine goldene Regel. Diese ist jeweils etwas individuell formuliert (oder übersetzt), in ihrer Kernaussage jedoch identisch. So wird Konfuzius (in „Gespräche 15,23“) zitiert mit dem Satz: Was Du selbst nicht wünscht, das tue auch keinem anderen an. Im Christentum lautet die Grundaussage: Alles, was Ihr wollt, dass Euch die Menschen tun, das tut auch Ihr Ihnen ebenso. (Mathäus 7,12; Lukas 6,31.). Und im Islam lautet die Formulierung: Keiner von Euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht. (40 Hadithe/ Sprüche Mohammads/ von an-Nawawi 13 ). Aus: Stiftung Weltethos, Tübingen 2000, Ausstellung in zwölf Tafeln.
Weshalb üben nun manche Menschen in diesem Sinn keine Religion aus, andere tun dies sehr intensiv und eine dritte Gruppe sieht sich eher als Mitläufer aus einer Tradition heraus?
Widmen wir uns zuerst letzterem Personenkreis, da ich davon ausgehe, dass dieser in Wirklichkeit den größten Anteil ausmacht. Das liegt wohl darin begründet, dass fast alle Religionen dafür sorgen, dass der Nachwuchs an „Gläubigen“ durch einen kleinen Trick garantiert wird. Die Gläubigen werden nicht etwa durch Aufklärung, Wissen und eigener Entscheidung an eine Religion herangeführt. Nein, Sie werden in der Regel „zwangsrekrutiert“. Von Geburt an – lebenslänglich. Die jeweilige Kultur, die Tradition und eine Vielzahl von Dogmen sorgen dann dafür, dass die so "Rekrutierten" nur schwer aus diesem Kreis entrinnen können. Dieser Teil an Gläubigen bleibt also mehr oder weniger dem einmal mitgegebenen Glauben verbunden. Sei es aus Gewohnheit, dem Bewahren einer Tradition oder mangelnder Motivation sich klar zu positionieren. Oft mag dieses Verhalten auch darin begründet sein, dass eine Rückkopplung zu Spirituellem, zu Sinn- oder Strukturgebenden gesucht und gefunden wird.
Manchmal findet im jugendlichen Alter oder auch in späteren Jahren eine Klärung statt. Manche Religionsangehörige entscheiden sich in eine andere Richtung, sie konvertieren.
Damit sind wir bei der Gruppe von Menschen, die sich für eine intensive Ausübung ihres Glaubens entschieden haben. Oft geschieht dies aus bestimmten Schlüsselerlebnissen heraus. Oder, manche Menschen fühlen sich einfach geborgen und aufgehoben innerhalb Kirchenmauern, in der Ausübung und Gestaltung von Gottesdiensten. Nicht selten verschwimmen die Grenzen zwischen musikalischen Aufführungen, Kunst und Gottesdienst. In der Regel steckten auch unbeantwortete Sinnfragen dahinter. Auf der Suche nach Erklärungen, die man sich selber nicht geben kann, sucht der Mensch eine Instanz die über ihm ist. Insbesondere, wenn er sich in ausweglosen Situationen wähnt, wird diese (göttliche) Instanz als Halt gesucht. Sehr oft werden solchermaßen Hilfesuchenden jedoch auch maßlos enttäuscht, wenn die erwartetete Hilfe ausbleibt. Denken wir nur z.B. an die vielen schwerstkranken Menschen oder an Soldaten im Feld, die erfahren mussten und müssen, dass Ihnen trotz inständigem Bitten nicht geholfen wird. In Kenntnis dieser enttäuschenden Tatsache halten trotzdem Millionen von Menschen an Ihrer Überzeugung "Hilfe kommt von oben" fest.
Ein dritter Teil der Menschheit übt keine Religion aus, weder passiv noch aktiv. Wir sprechen dann im Allgemeinen von Atheisten oder vom Atheismus. Neben diesen Menschen, die jegliche Art von Religion und Ähnlichem ablehnen, sehen hier andere trotzdem durchaus einen Bedarf, dass sich die Menschen konfessionsübergreifende Grundregeln geben sollten. Dies schlägt sich zum Beispiel im Ethikunterricht in den Schulen nieder, der zwar noch nicht flächendeckend angeboten wird, sich aber doch mehr und mehr entwickelt. Er soll der Vermittlung von universell geltenden Werten dienen.
Stellvertretend für die vielen Organisationen oder Foren, die sich konfessionsübergreifend einbringen, soll die oben erwähnte "Stiftung Weltethos" angeführt werden.
Fazit
Im Lichte dieser Betrachtung, und sieht man dazu die jahrtausende alte "Tradition" der heute wieder verstärkt aufkeimenden Religionskriege, kommt man nicht umhin eine gewisse Sympathie für diese "Nicht-Religion", bzw. für diese religionsunabhängigen Ethik-Gedanken zu entwickeln. Inakzeptabel sind auf jeden Fall Religionen, die sich über andere Religionen stellen oder Religionen die Gewalt ausüben oder verherrlichen. Insbesondere sind Religionen abzulehnen, die mit Dogmen und ähnlichem die Menschen in Schuld setzen und damit ein schlechtes Gewissen bereiten. Wenn Menschen andere Menschen beeinflussen möchten, dann bitte immer in Richtung Aufklärung, Selbstverantwortung und Selbsthilfe.
Ich denke, immer dort, wo Menschen sich in erster Linie um eine Lebenshaltung bemühen und weniger um die Ausübung einer auf Traditionen reduzierte Religion, wo es gleichwohl um das eigene Wohl wie das der Mitmenschen geht, kann eine Religion etwas Wertvolles, Nützliches und Natürliches sein. Etwa so:
Aus 1. Korinther 13, 4-8
Wer liebt, ist geduldig und gütig. Wer liebt der ereifert sich nicht, er prahlt nicht und spielt sich nicht auf. Wer liebt, der verhält sich nicht taktlos, er sucht nicht den eigenen Vorteil und lässt sich nicht zum Zorn erregen. Wer liebt, der trägt keinem etwas nach; es freut ihn nicht, wenn einer Fehler macht, sondern wenn er das Rechte tut. Wer liebt, der gibt niemals jemand auf, in allem vertraut er und hofft er für ihn; alles erträgt er mit großer Geduld. Liebe wird niemals vergehen.
Seneca allerdings, hatte zu Religion bereits vor zweitausend Jahren eine kritische Meinung:
"Der gemeine Mann betrachtet die Religion als richtig, der Weise als falsch und der Politiker als nützlich".
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